gewebe-explant
EXPLANT
Momente physischer Gegenwart
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Bezugsgrößen und Lebendigkeit
Flexibilität manueller Herstellung
Der Entwicklungsprozess von Eigenschaften
Das Entdecken transformativer Spannungsverhältnisse
Der verbindende und
eigensinnige Charakter
des Materials
Die Gewebekultur
Neue Gebilde verwobener Linien und deren Nebenhandlungen
Von der Beobachtung und Beschreibung scheinbar chaotischer Strukturen
E X P L A N T
Der Begriff Explant entstammt nicht zufällig der Transplantationsmedizin, beschreibt er denn unter anderem den operativen Vorgang, bei dem ein oder mehrere Organe/ Zellen entnommen werden, um sie in eine Gewebekultur zu verpflanzen und dort unter Beobachtung weiter wachsen zu lassen.
Im Gegensatz zur intuitiven Herangehensweise in der Explorationsphase, unterliegen die Wachstumsbedingungen der Arbeiten für die Installation nun bestimmten Kriterien und werden mit ihnen bewusst verändert und gestaltet. Dabei muss ähnlich sensibel vorgegangen werden wie bei einer Operation. Die einzelnen Arbeiten sind sehr filigran und reagieren eigensinnig auf Ausseneinwirkung.
Ist eine klassische Gewebekultur darauf ausgelegt eine einzelne Zelle 1:1 zu klonen, so geht es in dieser Arbeit eher darum, die zentrale Charaktereigenschaft dieser „Zelle“, in eine Vielzahl von anderen Objekten einzuweben, sodass die einzelnen Objekte zwar Merkmale der jeweils anderen in sich tragen, aber gleichsam auf dem Weg sind, in einen neuen, eigenen Entwicklungsprozess.
W A S I S T E X P L A N T ?
Explant ist das vorläufige Endergebnis der Exploration von Geweben.
Während in den Explorationsphasen die Gewebe intuitiv erkundet wurden, ist EXPLANT nun die bewusste Betrachtung und Ausarbeitung eines zentralen Aspektes, der sich in den Experimenten immer wieder finden lässt:
Die Bewegung in der Auflösung, der Beginn einer Transformation.
Dabei beschreibt der Begriff EXPLANT gleichsam die Vorgehensweise des Herauspflanzen eines Wesensmerkmales aus den Experimenten, als auch das Wiedereinsetzen in eine neue Umgebung und das bewusste Manipulieren, Gestalten und Vervielfältigen dieses Zustandes.
Einer biologischen Zellteilung ähnlich, übertägt sich das Wesensmerkmal der Transformation von Objekt zu Objekt. Wie es sich in jedem Einzelnen darstellt und entwickelt unterscheidet sich allerdings individuell. Jedes Objekt trägt so zwar dieselbe Information in sich, hat aber auch die Möglichkeit sich eigenständig weiterentwickeln zu können.
I N S T A L L A T I O N
Explantiert als ein formaler Spannungsmoment im Auflösungsprozess, steht der Transformationszustand der Gewebegebilde in der Installation nun für sich.
Er wird an Hand von über 60 kleinen Drahtgeweben gezeigt und ist dabei in allen Objekten als gemeinsames Wesensmerkmal angelegt. Einer Gewebekultur gleich, befinden sich die Drahtgebilde auf dünne Stahlstifte gesteckt, in einer laborähnlichen Anordnung an der Wand, zu einer Art Untersuchungsgruppe formatiert.
Die Abstände zwischen ihnen (12cm), sind so gewählt, dass die einzelnen Objekte an der Grenze zwischen eigenständig und einander zugehörig wahrgenommen werden können.
Sie geben sich als zusammengehörige Gruppe zu erkennen, als Teile eines Ganzen, einer Situation von detailreichen, strukturellen Spannungsverhältnissen, die auf Grund ihrer Gemeinsamkeiten und Art der installativen Anordnung, eine gegenseitige Verbindung herstellen und ihre Bezogenheit aufeinander beschreiben.
Bei näherer Betrachtung lassen sich die Eigenarten der Gewebegebilde erkunden. Jedes hat seinen eigenen Raum, der aber unmittelbar an den Raum des nächsten Objektes angrenzt. Ist ein Gewebe schon weiter gewachsen, kann es zu Überschneidungen/Berührungen kommen.
So begegnet der Betrachter ihrem transformativen Wesen von Gewesendem, gleich ihrem Ursprung als Einheit (ganzes Gewebe), ihrem Seienden, gleich dem Zustand als Teil der Einheit (ein Teil des Gewebes) und dem Werdenden, gleich der Entwicklung von Individualität (individuelles Gewebe), zur selben Zeit.
Die Anordnung der Installation sammelt, filtert und erweitert so die vielfältigen Umformungen aus den Geweben der Explorationsphase und deutet ihnen eine gemeinsame Ebene zu.
Sie holt den Moment der Umformung, seine Kriterien, Gesetzmäßigkeiten und Analogien aus den verschiedensten Kontexten komplexer, unübersichtlicher, scheinbar chaotischer Strukturen – und forscht nach einer anschaulichen Ordnung, die zu einer systhematisch, sinnlich schnell erfahrbaren Wiedergabe wird.
Die Gewebegebilde erhalten einen eigenen Raum, in dem sich ihr gemeinsames Wesensmerkmal gegenseitig aufladen und damit konzentriert erfahrbar machen lässt. In der realen Begegnung wird ihnen eine eigene körperliche Gegenwart zugesprochen.
Keines der Gebilde fällt dabei zunächst wesentlich kleiner oder größer als 11,5 x16 cm aus, was der Größe meiner Hand entspricht, deren Obhut sie entspringen.
Die Dokumentation des gesamten Arbeitsprozesses lässt sich als begeleitender Teil der Installation über einen Zugang zu dieser Website aktiv erkunden.
Ergänzt wird die Installation von 5 ausgewählten Grafiken, die den Moment der Auflösung noch einen Schritt weiter treiben und teilweise nur noch als gedruckte Grafik, aber schon nicht mehr als reales Gebilde existieren könnten. Sie geben zudem nicht mehr klar zu erkennen, ob der zeichnerische Charakter den Bewegungsabläufen einer Hand oder den technischen Kurvenumbrüchen einer Computergrafik entspringt. Ihre Linienbeschreibungen lehnen sich als eine formale Verwandt-schaft an die der Drahtgewebe an.
In den Grafiken findet der Moment der Auflösung eine konzentrierte, visuelle Entwicklung und möglichen Höhepunkt. Sie schließen damit gleichzeitig die Leserichtung der Installation nach der reichen Betrachtung von Bildern, Gewebe-Experimenten, deren Transformation, Entwicklung und Auflösung, – und ermöglichen dem Betrachter mit einer ausleitenden, formalen Öffnung, den Blick zurück in den freien Raum.
D E R M O M E N T D E R A U F L Ö S U N G
Mit fortschreitendem Experimentieren und dessen Auswertung wurde deutlich, dass mein zentrales Interesse während der Erkundung hauptsächlich dem Auflösungs- und Transformationszustandes galt.
Die Bewegungsformen, die dabei in den Geweben entstanden, wählte ich als einen erneut zu untersuchenden Zustand heraus.
Ich fand diesen Moment in den lose liegenden, ineinander verschlungenen Fäden unvollendeter Gewebestücke, in den gedehnten, verzerrten Maschen von Gummigeweben, in komplexen Knotengebilden, die sich in einem Stadium zwischen Verwirrung und Entwirrung befinden – allgemein in den lebendigen Linienführungen, die ein Gewebe hinterlässt, welches nur noch aus einer losen über- und untereinander liegenden Faden- bzw. Materialkombination besteht.
Das Lösen und Lockern der Gewebe weichte ihre Stabilität und Festigkeit auf, sodass die einzelnen Linien des ehemals rechtwinklig, verkreuzten und dichtgewebten Materials, begannen sich freier und dynamischer zu bewegen. Dabei entwickelten sie eine eigenständige, lebendige Formsprache.
Es galt nun diese selbstständig enstehende, formale Konsequenz der Auflösung zu reproduzieren und den einen Spannungsmoment der Transformation bewusst herzustellen und zu gestalten. Ein Moment, in dem Vergehen, Sein und Werden zur selben Zeit beschrieben wird.
M A T E R I A L
Im Wesentlichen untersucht EXPLANT also den Spannungsmoment der Umformungen, die während dieses Auflösungsmomentes innerhalb der Gewebestrukturen zu beobachten sind.
Ein feiner 0,2 mm dünner Draht, diente mir dabei als Mittel zur Reproduzierung der detailhaften Gewebeformationen. Er ermöglichte es, durch seine im Folgenden genannten Eigenschaften, die komplexen Linienführungen eines sich auflösenden Gewebes nachzuempfinden und dauerhaft festzuhalten.
Zudem spielgelt sein Charakter die eigenständige Entwicklung der Formsprache, die das befreite Material der Gewebe vollzieht. Er vereint mit seinen Eigenheiten gleichzeitig entscheidende Wesensmerkmale mehrerer Materialien, mit denen ich in der Explorationsphase experimentiert habe:
So kann er, ähnlich des Garns, felxibel und dynamisch geführt werden, verliert aber nicht sofort seine Form, wenn er bewegt wird. An den Punkten, an denen Stahlgitterstreben zu massiv wirkten, das Material zu sehr im Vordergrund stand, greift Draht die Feinheit und Leichtigkeit des Garns wieder auf. Wo Garn willkürlich den Bewegungen der Hände folgt, Stahlstreben aber beinahe unbeeindruckt fest bleiben und größerer Kraftanstrengung bedürfen, geformt zu werden, geht Draht zwar den Weg, den man ihm vorgibt, behält aber in den Bewegungen trotzdem seine etwas störrische Eigenart. Er bricht in Kurven teilweise eigenwillig um oder schlägt mit seiner Spannung einen eigenen Radius vor. Das Entzerren von Gummi etwa, erzeugte zwar spannende Formen, jedoch ließen sich diese (den Fadengeweben gleich) nicht dauerhaft festhalten, da das Material dazu neigt sich in seine Ursprungsform zurückziehen zu wollen und dabei gänzlich an Spannung verliert.
Der verwendete Draht dagegen lässt das Herstellen eines Spannungsgefüges zu und behält die ihm gegebene Form. Mit einer Stärke von 0,2 mm und seiner Materialfarbe, einem dunklen grauschwarz, fügt er den Objekten einen zeichnerischen Charakter zu, der gleichsam die Skizzenhaftigkeit eines Forschungszustandes beschreibt.
Mit ihm lassen sich eigenwillige, komplexe Gewebeformen zeichnerisch nachempfinden und zu jenem Spannungsmoment biegen, der den Ausgangspunkt der Arbeit bildet.
W E R K Z E U G
Zur Fertigung der transformativen Formen benutze ich schlicht meine eigenen Hände.
Trotz der mannigfaltigen Möglichkeiten, Werkzeuge der Gestaltung einzusetzen, steht letztlich doch immer ein Gegenstand zwischen meinem Körper und der gestalterischen Projektionsfläche.
Die Hand blieb für mich das einzige Werkzeug, welches es mir ermöglichte, die komplexen Bewegungen von Verschlingungen, Verwebungen, Verknotungen, Linienverläufen, individuell nachzuempfinden. Sie ermöglicht mir mehrere Punkte zur gleichen Zeit anfzuassen und zu bewegen und dabei über die direkte Berührung selbst zu einem Teil dessen zu werden, was ich gestalte. Es besteht eine direkte Verbindung zwischen meinem Körper und der Form, die es mir erlaubt das Gefühl für die Bewegung des Linienspiels im Gewebe unmittelbar auf die Form zu übertragen.
So webe ich gleichzeitig einen Teil meiner Lebendigkeit über die Berührung und Bewegung meiner Hände in die Drahtgebilde mit ein, die er nun als Information in sich trägt.
Ich vertiefe darüber hinaus, durch das ständige Be-greifen mit meinen Händen, auch mein Verstehen für die Entstehung der komplexen Linienführungen und das Spannungsverhältnis zwischen chaotischen und geordneten Strukturen, die ich zuvor in der Exploration nur zufällig oder intuitiv betrachtete.
V E R B I N D U N G
Die Spannungsmomente, die ich dort in der Auflösung von Geweben fand, waren mitunter nur kurz zu beobachten und einzig über das Fotografieren festzuhalten, da, wie schon beschrieben, weder Gummi noch Faden dauerhaft von allein in diesem Zustand verweilten. Um diesen sensiblen Moment also haptisch gänzlich begreifen zu können, brauchte ich ein Material, dass die Eigenschaft besitzt ohne äußere Rahmenbedigungen verwebt werden zu können und dabei in seiner Form bleibt. Der vewendete Draht ermöglichte dies.
Seine leicht rauhe Oberflächenbeschaffenheit und kühle Temperatur zeigen sich durch die minimale zeichnerische Strichstärke nur zurückhaltend und gehen ein leises Wechselspiel mit der lebendigen Führung und Formgebung meiner warmen Hände ein. Die Bewegung meiner Hände beseelt den leblosen Draht zudem und erweckt seine Eigenarten zum Leben. Er reagiert nicht willkürlich auf meine Richtungsanweisung, sondern eigenständig, wenn er etwa selbst entscheidet in welcher Kurve er der Form einen Knick hinzufügt.
Verwebe ich mehrere Linien Draht und es bleiben lose Enden, fallen diese nicht leblos herab, sondern bleiben erwartungsgefüllt stehen, so als ob der Draht sich nach Etwas reckt und nach Wachstum streben würde.
Diese eigensinnige Lebendigkeit unter anderem, verleiht den Drahtgebilden eine Art Wesenhaftigkeit, eine eigene charakterliche Substanz, die jedes Lebewesen ausmacht.
Sie entsteht nicht zuletzt dadurch, dass die Objekte manuell gefertigt sind und die Berührung, die der Draht über meine Hände erfahren hat, nun zusätzlich zu seiner eigenen, als Information in sich trägt. Es entsteht ein Zusammenspiel von Eigenschaften zwischen dem Charakter des Drahtes und meinem.
Die körperliche, in hohem Maße haptische und damit sinnliche erfahrene Gegenwart während des Herstellungsprozesses transportiert sich nun als gegenseitige Bedingung in die Gewebgebilde.
Da die Dimension der Objekte, die meiner Hand nicht überschreitet bleibt sie die eigentliche körperliche Bezugsgröße – auch für den Betrachter.
E R F A H R U N G
Als Mensch haben wir keinen anderen Erfahrungsort außer unserem eigenen physischen Dasein. Die körperliche Realität, die den Gewebegebilden in der Installation zugesprochen wird, und die unmittelbare, proportionale Nähe zur eigenen Hand, lassen so intuitiv den Reiz entstehen, die Gebilde anfassen zu wollen und selbst haptisch zu erfahren.
Zusätzlich ist der Feinheit des Materials anzusehen, dass es sich mit den Händen einfach verändern lässt. Es löst den Impuls aus, die Drahtobjekte müssten mit Vorsicht behandelt werden, um sie nicht zu verändern und damit zu zerstören.
So transportiert sich die Empfindsamkeit des Moments der sich in Transformation befindlichen Gewebegebilde. Eine Ännäherung an ihren gegenwärtig sensiblen Zustand zwischen Gewesendem und Werdendem entsteht. Das Herausgetrennt- Sein aus der ursprünglichen Struktur, der offen liegende Prozess von Veränderung und Wachstum und nicht zuletzt die eigene Materialität macht die Drahtgewebe verletzlich für äußere Einflüsse.
Dieser formal stattfindene Moment in einem sich auflösenden Gewebe, kann in der Installation nun konzentriert betrachtet und körperlich erfahrbar werden.
So wird die lebendige Entwicklung eines Veränderungs-prozesses nicht festgehalten als ein eingefrorener Zustand. Sondern der komplexen, sensiblen Datenlage der Gewebeformationen, wird über das organische Formspiel, die sich eigensinnig verhaltene Materilität und die haptische Sinnlichkeit, eine lebendige, reale und körperliche Gegenwart und Entwicklungspotential eines eigenen Charakters zugesprochen.
Dabei zielt EXPLANT schlussendlich nicht auf eine endgültige Erkenntis ab, die das scheinbare Chaos sich überlagernder Linien zwischen Verwebung und Auflösung mit finalen Gesetzmäßigkeiten erklärt, sondern auf die Neugier des Beobachtens detailreicher Strukturen und deren Spannungsverhältnissen. Auf ein experimentelles Erkunden in sich verwobener Bezugsgrößen, welches Erkennen und Verstehen nicht als finale Größe begreift, sondern als intuitiven und taktilen Prozess persönlichen Erlebens.
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